Plaue – eine Gartenstadt für Industriearbeiter

2015 feiert die Gartenstadt in Plaue, Ortsteil von Brandenburg an der Havel, 100jähriges Bestehen. Beauftragt hatte das Reichministerium des Innern die Errichtung der Siedlung als Wohnort für die Arbeiter der nahegelegenen Königlichen Pulverfabrik. Gesellschaftshistorische Hintergründe werden auf der Webseite von Willibald Weißer zu Plaue sehr ausführlich dargestellt (Link).

Verantwortlicher Architekt war Paul Schmitthenner (1884-1972), der zeitgleich für denselben Auftraggeber u.a. die Gartenstadt in Berlin-Staaken (1914-1917) entwarf, ebenfalls für das Reichsamt des Innern (in Staaken für die Mitarbeiter der Staatlichen Rüstungsbetriebe). Die dortigen Gebäude stellen sich weniger traditionalistisch dar als die meist einstöckigen Gebäude in Plaue. Für die Gebäude in Staaken mit ihren straßenseitigen Giebeln und den Backsteinfassaden diente ihm das Holländische Viertel in Potsdam als Inspirationsquelle. Kurz zuvor entwickelte Schmitthenner schon die Gartenstadt Carlowitz in Breslau als Villenkolonie.

Plaue5Der Entwurfsstil von Schmitthenner wird gemeinhin dem Heimatschutzstil zugerechnet, der sich durch eine eher romantisierende Bauweise mit Anlehnung an traditionelle Gestaltungsformen auszeichnet. Einer seiner einflussreichsten Lehrer, der Architekt Theodor Fischer, unterrichtete an der TH München u.a. auch Heinrich Tessenow und Richard Riemerschmid, beides Architekten in Dresden-Hellerau. Zentrale Merkmale dieses Stils sind, ähnlich wie in der britischen Arts-and-Crafts-Bewegung, die Wertschätzung von Handwerk, Einfachheit und Qualität. Schmitthenners Detailverliebtheit zeigt sich u.a. in der Ausgestaltung eines Giebelfassadenelements als Schnecke.

Sein Stil fand auch im Nationalsozialismus Anklang, so dass er u.a. als Architekt für die Schmitthenner-Siedlung in Friedrichshafen und als NSDAP-Mitglied seine Arbeit fortsetzen konnte. Mit seinem Vortrag „Das sanfte Gesetz in der Kunst, in Sonderheit in der Baukunst“ setzte er sich kritisch mit der Monumentalarchitektur des Nationalsozialismus auseinander. Ein Umstand der ihm sicherlich nach 1945 in der jungen Bundesrepublik half, relativ schnell rehabilitiert zu werden, so dass er mit Wiederaufbauplanungen für kriegszerstörte Städte nahtlos anknüpfen konnte.

Bildquelle: http://archiv.dam-online.de/handle/11153/563-002-001

Bildquelle: http://archiv.dam-online.de/handle/11153/563-002-001

Traditionell anmutender Siedlungskern

Insgesamt entstanden 212 Gebäude die als Reihenhäuser traufständisch entlang der Siedlungsstraßen angeordnet sind. So blieb nach hinten hinaus viel Platz für Nutzergärten der Bewohner. Die Nucleusform der Siedlungsanlage mit den langgestreckten Grundstücken weist städtebauliche Ähnlichkeit mit vorneuzeitlichen Siedlungsstrukturen auf. Die stilistische Verankerung des Architekten spiegelt sich hier wieder. Gemeinschaftsbauten wie Schule, Gemeindehaus, Kirche, Einkaufsmöglichkeiten lassen sich nicht anhand der Gebäudestruktur ausmachen. Lediglich zwei Gebäude weisen darauf hin.

Auch ein „Marktplatz“ als Versammlungsort der Gemeinschaft, wie er sich in den meisten Siedlungsentwürfen findet, ist nicht umgesetzt worden. Das Siedlungszentrum wird von einer Straße bestimmt, die durch einen großen Abstand der gegenüberliegenden Häuserzeilen geprägt ist und auch heute vorrangig als großzügiger Parkraum genutzt wird.

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Anklänge an Arts and Crafts

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Die Gebäude sind meist eingeschossige Wohnhäuser mit angebauten Stallungen und Nutzgärten. Stilistisch eingesetzt wurden 15 leicht variierende Haustürformen, 6 unterschiedliche sprossengeteilte Fenstertypen sowie Giebelelemente, Fledermausgauben, Dachhechte und Klappläden, die der Gleichförmigkeit der Gebäude Individualität verleihen.

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Gemeinschaftsmodell: Individuelle Selbstversorger

Die Genossenschaft, als Bauträger der Gartenstadt, erhielt umfassende Förderung zur Errichtung der Gebäude. Der Vorstand setzte sich aus örtlichen Honoratioren (u.a. Bürgermeister, Unternehmer) zusammen (Quelle). Die Zuweisung der Gebäude an die Arbeiter der Fabrik orientierte sich an der sozialen Hierarchie im Werk. Funktionale Orte (z.B. Marktplatz) und Gebäude der Gemeinschaft (z.B. Kirche, Schule) wurden von den Planern und Bauherren (vermutlich) bewusst nicht berücksichtigt. Das Gemeinschaftshaus der Genossenschaft befand sich am nordwestlichen Rand der heute sichtbaren Platzanlage und beherbergt gegenwärtig ein Gasthaus. In der Ortsmitte findet sich ein kleiner Laden für täglichen Bedarf.

Links
http://stg-brandenburg.de/wissenswertes-gartenstadt_plaue.html
Webseite von Willibald Weiser zur Gartenstadt Plaue mit historischen Dokumenten